Erinnerungsverlust: Die Erinnerung ist ein Teil von dir

Kurzroman: Bitte gib mir meine Erinnerung zurück!

Auszug aus Kapitel 2 – Wer ist Christian Stark?

Am nächsten Morgen erwachte ich schweißgebadet. Das Atmen fiel mir schwer. Mir war, als hätte ich Stunden in einer Sauna oder in der Wüste verbracht und irgendwie hing der Gestank von Verbranntem in der Luft. Mein Pyjama klebte an mir, als wäre ich in einen See gesprungen. Meine Füße und Hände schmerzten, als wären sie verwundet, doch als ich diese begutachtete, konnte ich nichts erkennen. Zusätzlich plagten mich bohrende Kopfschmerzen.
Ich wusste nicht, woher diese stammten oder was sie ausgelöst haben könnte, normalerweise litt ich nie an Migräne und diejenigen, die sich über welche beschwerten, hatte ich bisher nie ernst genommen. Ich war früh zu Bett gegangen und das Fenster war über Nacht verschlossen gewesen. Vielleicht hatte ich zu lang geschlafen und zudem während des Schlafs zu wenig Sauerstoff zu mir genommen. Ich schüttelte die Decken von mir ab, denn sie schienen förmlich zu glühen. Mir war schwindelig, also blieb ich noch eine Weile liegen. Plötzlich jagten mir Fragmente eines seltsamen Traums durch den Geist. Ich erinnerte mich an Hitze und an ein eigenartiges Klettergerüst, das ich aus irgendeinem Grund zu erklimmen gezwungen war. Das Gerüst hatte mir Schmerzen bereitet, mit jeder Stufe hatten sich diese intensiviert. Dieses Gerüst war außerdem mit irgendwelchen Fotos bestückt gewesen – was auf diesen abgebildet war, wusste ich jedoch nicht mehr. Dann war da noch eine alte Frau gewesen, welche sich als Fee ausgegeben hatte, in Wahrheit jedoch sicherlich eine skrupellose, schadenfreudige Hexe gewesen sein muss, die mich dazu gezwungen hatte, dieses Höllengerüst hinaufzuklettern. Ich schauderte bei den Bildern, welche eins nach dem anderen vor meinem inneren Auge aufblitzten, und war heilfroh, dass es sich dabei lediglich um einen Alptraum gehandelt hatte. Erleichtert atmete ich aus und raffte mich auf, als ich plötzlich etwas am Boden entlangrollen hörte, als wäre etwas vom Bett gefallen. Mein Blick suchte den Parkettboden ab und ich entdeckte ein kleines Fläschchen unter meinem Schreibtisch.
Ich stand auf, um es aus der Nähe zu begutachten. Es handelte sich um ein scheinbar leeres Fläschchen mit Korkenverschluss. Darauf war in Schreibschrift „Erinnerung an Christian Stark“ eingraviert. Ich fragte mich, was das zu bedeuten hatte und wer dieser Christian Stark war und stellte fest, dass ich nicht wusste, um wen es sich dabei handelte. Gerade wollte ich das Fläschchen wieder zur Seite legen, als sich unerwartet ein seltsamer Nebel in ihm zu bilden schien. Dieser begann sich um seine eigene Achse zu drehen und fast schon einen ästhetischen Tanz vorzuführen.
Je länger ich ihn betrachtete, desto aufgeregter und schneller wurden seine Bewegungen. Er schien mich förmlich zu hypnotisieren. Ich war nur schwer in der Lage, die Flasche wieder zur Seite zu legen. Ich weiß nicht mehr, wie lange ich in dieser Position verharrte. Es mögen Stunden oder auch bloß Sekunden gewesen sein. Die Zeit schien nicht mehr messbar zu sein. Mir war, als würde nichts weiter mehr existieren bis auf das Fläschchen mit seinem seltsam faszinierend anziehenden Inhalt und mir. Erst als mein Handy vibrierte, kam ich wieder zu mir und legte das Fläschchen aus der Hand. Ohne meinen Blick jedoch von ihm abzuwenden, ging ich ran und erkannte die Stimme meiner besten Freundin Katrin an der anderen Leitung.
„Wo bleibst du denn?“, fragte sie schwer gereizt.
„Eh, wie bitte?“, antwortete ich verwirrt. Ich war mir jedoch nicht sicher, ob sie mich verstanden hatte. Erst jetzt bemerkte ich, dass meine Lippen förmlich aneinanderklebten und wie trocken mein Mund war. Ich brauchte dringend einen Schluck Wasser.
„Wir waren doch zum Joggen verabredet! Wo bleibst du? Ich warte schon seit fast zwanzig Minuten hier auf dich. Auf meine Nachrichten hast du auch nicht geantwortet!“
Ich eilte zu meinem Nachtschrank und trank aus der Mineralwasserflasche.
„Hallo?“, drängte Katrin nach ein paar Sekunden. Ich war immer noch am Trinken. „Hast du etwa bis eben gerade gepennt?“, fragte sie ungläubig. „Es ist fast vierzehn Uhr.“
„Tschuldige“, entgegnete ich. „Wo genau wartest du denn?“
„Na an der Rudower Höhe, wo sonst? Sag mal, ist alles okay mit dir, Ella?“
„Ja, alles gut. Gib mir bitte noch weitere zwanzig Minuten. Dann bin ich da“, sagte ich und legte auf. Ich wusste nicht, was mit mir los war, ich fühlte mich seltsam ausgelaugt und war vollkommen durcheinander. Und viel schlimmer noch – was zum Geier hatte dieses mysteriöse Fläschchen zu bedeuten? Ich nahm die Flasche zur Hand, begutachtete sie noch ein paar Sekunden lang und verstaute sie anschließend in der Schublade meines Nachtschranks zwischen den Socken. Würde ich mir auch nur eine Sekunde länger Zeit lassen als noch weitere zwanzig Minuten, würde Katrin mich umbringen.
Dass ich die unvorteilhafte und undisziplinierte Angewohnheit hatte, mich zu meinen Verabredungen zu verspäten, daran hatte sie sich bereits gewöhnt, aber sie versetzt oder eines unserer Treffen vergessen, hatte ich bisher nie. Ich ging ins Bad und als ich mein Spiegelbild erblickte, erschrak ich. Meine sonst so strahlenden, großen Augen waren ganz verquollen und von tiefen dunklen Ringen umgeben, als hätte ich die ganze Nacht über schrecklich geweint. Mein langes, blondes Haar war ganz feucht und verklebt, so sehr hatte ich nachts in Schweiß gebadet. Ich nahm schnell eine kalte Dusche, schlüpfte in eine Jogginghose und in ein T-Shirt und eilte los. Bevor ich die Haustür schloss, überkam mich noch das eigenartige Gefühl, etwas Wichtiges vergessen zu haben, doch ich kam nicht darauf, was es war. [ …]

Bitte gib mir meine Erinnerung zurück!

Ein Roman, der dich verstehen lassen wird, dass alles, was dir bisher im Leben widerfahren ist, von großer Bedeutsamkeit ist – denn jede Erfahrung, ob gut oder schlecht, macht aus dir diesen einen wunderbaren einzigartigen Menschen, der du heute bist.

 

 

Bild von Igor Ovsyannykov auf Pixabay
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