Zu Hause angekommen - das ist schon ein Highlight
Berlin, 28.03.2020, 10:22

Langsam wische ich mit dem Lappen über den Tisch – von einem Ende zum anderen. Eine helle Linie zieht sich nun über das Glas. Wow, denke ich mir, wann habe ich hier das letzte Mal gesessen? Vor zehn Jahren?
(Was gar nicht möglich ist, da ich erst seit knapp zwei Jahren hier wohne.)
Ich besprühe den Tisch mit meinem selbstgemixten „Allzweckreiniger“, bestehend aus Spülmittel, Desinfektionsmittel und Wasser und wische die komplette Schmutzschicht weg. Gerade heute ist mein Allzweckreiniger leer geworden – in letzter Zeit habe ich so viel in meiner Wohnung sauber gemacht.
Kein Wunder, wenn man 24/7 h in der Wohnung hockt – so wird sie nun mal dreckig.
Aber ich stelle fest, dass ich sehr gern in meiner Wohnung hocke und ich hier ebenso gern sauber mache.
Wegen eines Allzweckreinigers werde ich jedoch nicht loslaufen und Einkäufe habe ich erst kürzlich erledigt (Mein Kühlschrank ist voll wie nie!). Außerdem überlege ich gerade, ob Reinigungsmittel mittlerweile nicht auch bereits ausverkauft sind. Ich meine mich daran zu erinnern, dass mein Vater am Vorabend am Telefon etwas in die Richtung gesagt hatte.
Erst  Desinfektionsmittel und jetzt Reinigungsmittel.
Das sich in meinem selbsthergestellten Allzweckreiniger befindende Desinfektionsmittel hat mein Vater mir zusammengebraut. „So machen das die Leute in Polen“, hatte er gesagt, als er mir stolz die einstigen Mineralwasser- und Nasensprayflaschen mit dem selbstgemixten Desinfektionsmittel vorbeigebracht hatte. Das ist bereits eine Weile her – ich weiß gar nicht mehr wie lang und ich weiß auch nicht, wann ich ihn wiedersehen werde.
Ich besprühe auch die vier Stühle, die beiden Fensterbretter und das Geländer und befreie auch diese von ihrer Dreckschicht. Am liebsten würde ich auch den Boden besprühen und sauberwischen. Doch vorerst müsste ich all das Laub hier zusammenklauben. Ich frage mich, wo und wann das hier hergekommen ist, blicke um mich und stelle fest, dass nur ein einziger Baum in Reichweite ist.
Kurz darauf bleibt mein Blick an einem Passanten haften. In der linken Hand eine Einkaufstüte, in der rechten eine Packung Toilettenpapier. (Natürlich das teure von Zewa.) Da hatte heute wohl jemand Glück gehabt! Auch ich durfte mich bei meinem letzten Einkauf zu einem der glücklichen Kunden zählen und hatte doch tatsächlich Toilettenpapier ergattert – nicht etwa, weil ich auf Hamstereinkauf war oder mich davor fürchtete, dass Klopapier gänzlich ausgehen würde, sondern weil meines sich einfach dem Ende geneigt hatte. Natürlich hatte ich auch nur noch das teure von Zewa bekommen, doch immerhin steht nun superweiches, gutriechendes Klopapier mit schönen Abbildungen in meinem Bad herum. Das ist schon ein Highlight.
„Wo haben Sie das her?“ wurde ich dann auf der Straße von einer Dame angesprochen, die offenbar ganz dringend Klopapier benötigte.
Ich erinnere mich daran, dass ich es als Kind oder Teenager immer gehasst hatte, wenn ich spontan zu einem Kleineinkauf verdonnert wurde und es hieß: „Idź do aldika i kup mleko, chleb i papier toaletowy.“ Milch und Brot okay – aber mit dem Toilettenpapier durch die gesamte Siedlung zu rennen und dabei von den Nachbarskindern ausgelacht zu werden und sich blöde Sprüche anhören zu dürfen, war quasi wie gesellschaftlicher Selbstmord gewesen. Wobei Selbstmord vielleicht nicht die richtige Bezeichnung dafür ist, immerhin war ich nicht freiwillig mit dem Klopapier durch die Gegend gewandert.
Heute bekomme ich plötzlich beneidenswerte Blicke zugeworfen und ich werde auf der Straße angesprochen und angeblickt als wäre ich ein Star, wenn ich mit einer Packung Klopapier über die Straße laufe – verrückt, nicht wahr?
Als mein Balkon sauber ist, setze ich mich auf einen der nun glänzenden Stühle und frage mich abermals, wie lang ich hier nicht mehr gesessen habe und vor allem warum?
Die Antwort auf die Frage ist nicht schwer:
Weil ich ständig unterwegs und abgelenkt war – von morgens bis abends.
Arbeiten, Termine, Volleyball, Freunde, Hobbys, Projekte, Verabredungen, Partys… die Liste ist lang und detailliert.
Und jetzt bin ich hier,
bei mir –
womöglich mehr denn je,
ich habe Zeit,
in der Hand einen Stift und Papier;
und irgendwie bin ich wunschlos glücklich.
Hier auf meinem Balkon,
voller Laub,
und ich stelle fest –
es ist nicht mehr so laut.
Die Straße ist ruhiger geworden,
friedlicher.

 

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