Kurzroman: Bitte gib mir meine Erinnerung zurück!
Auszug aus Kapitel 5 – Schreibblockade
[…] Am nächsten Morgen wachte ich auf und stellte fest, dass ich meine Erinnerung immer noch nicht zurückhatte. Die alte Hexe hatte ich natürlich auch nicht angetroffen. Träge schleppte ich mich aus dem Bett. Ich hatte Schlaf für insgesamt zwei Nächte nachholen müssen – die paar Stunden hatten natürlich nicht ausgereicht.Während ich so über all das nachdachte, saß ich zusammengekauert auf meinem Zimmerfußboden und mein Blick blieb immer wieder wie magisch an meinem Nachtschrank kleben. Irgendwann, als ich dem Drang nicht mehr widerstehen konnte, erhob ich mich und ging in mechanischen Schritten, irgendwie marionettengleich und ganz wie von einer externen Macht gesteuert, auf den Nachtschrank zu und öffnete seine Schublade. Ich griff nach dem Fläschchen und setzte mich aufs Bett. Ich beobachtete den tanzenden Nebel und stellte mir vor, was er zu mir sagen würde, wenn er nur sprechen könnte:
Ich bin ein unabdingbarer, unverzichtbarer Teil deiner selbst. Wir gehören zusammen. Ohne einander können wir nicht funktionieren, nicht überleben. Wir sind eins. Bitte, verbinde dich wieder mit mir.
Eine Träne perlte mir die Wange entlang und brannte sich qualvoll in mein Herz. Wie schlimm diese Erinnerung auch war, wie unerträglich dieser Schmerz auch sein mochte, wenngleich Anna der Meinung war, dass es womöglich besser für mich sein könnte, mich nicht an das zu erinnern, was war – in jenem Augenblick war ich mir absolut sicher, dass ich diese Erinnerung zurückhaben musste. Ich wollte es wissen, ich wollte verstehen. Was konnte es sein, das mein Leben derart beeinflusste, sodass dieses ohne es innerhalb von drei Tagen derart aus den Fugen geriet? Ich spürte ein inneres Verlangen nach dieser Erinnerung, so als würde ein tief liegender, unbewusster Teil in mir sie schrecklich vermissen. Ich vernahm eine Leere in mir, die langsam aber stetig wuchs und mich von innen heraus zu zerfressen drohte. Ich überlegte, die Flasche zu öffnen, vielleicht würde sich der Nebel dann wieder mit mir verbinden und ich könnte mich wieder an alles erinnern. Doch zu groß war meine Angst davor, dass er einfach davonfliegen und sich verirren und nie wieder den Weg zu mir zurückfinden würde.
Es heißt, dass jede Erfahrung, die man im Leben macht, einen präge. Es heißt, jedes Ereignis, jede Situation, jeder Glücksmoment sowie jeder Tiefpunkt im Leben bringe einen bestimmten Grund mit sich. Und jeder Mensch, der deinen Weg kreuzt, repräsentiert entweder eine Aufgabe, eine bedeutsame Botschaft, ein Geschenk oder alles in einem. Persönlichkeit besteht aus all jenem, was einem im Leben widerfährt, aus den Handlungen, die man tätigt und deren Konsequenzen, die man anschließend zu tragen hat. Sowohl positive Erfahrungen, die tiefe Dankbarkeit in einem hervorrufen, als auch negative Begebenheiten und große Schicksalsschläge, die einem gewisse Dinge lehren und einem bedeuten, dass man vom rechten Weg abgekommen ist oder noch etwas Anderes von größerer Bedeutung auf einen wartet. Die Erinnerungen an jene gemachten Erfahrungen aus unserem Leben sind keine bedeutungslosen, abgeschlossenen und in sich abgegrenzten Einheiten. Sie sind allgegenwärtig und von Notwendigkeit, um auf unsere Gegenwart und unsere Zukunft einzuwirken. All dies begriff ich jedoch erst dann, als es bereits zu spät war.
Mit vor und zurückwiegendem Oberkörper saß ich da und betete zu einer höheren Instanz, zu Gott, zum Universum, zu der verrückten Hexe aus meinem mysteriösen Traum – zu wem oder was auch immer – dass man mir meine Erinnerung zurückgeben würde. […]
Bitte gib mir meine Erinnerung zurück!
Ein Roman, der dich verstehen lassen wird, dass alles, was dir bisher im Leben widerfahren ist, von großer Bedeutsamkeit ist – denn jede Erfahrung, ob gut oder schlecht, macht aus dir diesen einen wunderbaren einzigartigen Menschen, der du heute bist.❤
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